Die lernende Verwaltung

Fokusthema: Fort- und Weiterbildung als Schlüssel zur Modernisierung

  • Eine Umfrage unter 500 Unternehmen und Institutionen der öffentlichen Verwaltung offenbart Verbesserungspotenziale bei den Weiterbildungsbemühungen.
  • Nur 24 Prozent der Verwaltungen erfassen strukturiert die Kompetenzbedarfe ihrer Beschäftigten; bei Unternehmen sind es zumindest 52 Prozent.
  • Unternehmen geben zudem an, mit 947 Euro pro Person heute schon mehr als doppelt so viel Budget für Weiterbildungen zur Verfügung zu stellen wie Behörden (418 Euro).
  • Vor der Covid-19-Pandemie wurde in Behörden nur jede 20. Weiterbildung digital angeboten; in Unternehmen jede siebte.

Modernisierung und Fachkräftemangel: Weiterbildung ist zentral

Die Welt wandelt sich: Gesellschaftliche Herausforderungen wie die Digitalisierung und der Klimawandel verlangen von Behörden die Entwicklung neuartiger Lösungsansätze und ein großes Maß an Resilienz des Einzelnen. Bei der Implementierung von Innovationen gibt es hierzulande jedoch noch erhebliches Verbesserungspotenzial.

Sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft gilt: Um den dynamischen Ansprüchen unserer Welt gerecht zu werden, muss sichergestellt werden, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen verfügen. Doch der Bedarf an Fachkräften und Zukunftsfähigkeiten lässt sich durch mehr Absolventinnen und Absolventen entsprechender Studiengänge nicht decken. Stattdessen müssen Organisationen mehr in die Fort- und Weiterbildung von Beschäftigten investieren. In diesem Zusammenhang spielt auch das Erkennen benötigter Kompetenzen und Fähigkeiten eine zentrale Rolle.

Der Konkurrenzkampf um Fachkräfte ist schon heute groß; rund 86.000 Stellen für IT-Fachkräfte konnten 2020 nicht besetzt werden. Gerade die öffentliche Verwaltung hat hier durch eingeschränktere finanzielle Mittel einen klaren Wettbewerbsnachteil. Der Ausbau technologiebezogener Ausbildungs- und Studienplätze trägt zwar zur Lösung des Problems bei. Um den enormen Bedarf kurz- wie langfristig decken zu können, ist aber zusätzlich eine massive Steigerung der Fort- und Weiterbildung nötig.

Die Grundlage dafür muss ein Kulturwandel hin zum lebenslangen Lernen im öffentlichen Sektor sein. Hierfür gibt es bereits einige positive Beispiele wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Neben einer Kultur des lebenslangen Lernens müssen vier weitere Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens sollten dafür notwendige (neue) Kompetenzbedarfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter strukturiert erhoben werden, um gezielt Weiterbildungen vermitteln zu können. Zweitens sollten Budgets groß genug sein, um den Ansprüchen an Qualität und Aktualität der Weiterbildung zu genügen. Zudem sollten drittens Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hinreichend Arbeitsstunden für diese Weiterbildungen zur Verfügung stehen. Viertens müssen viel mehr Weiterbildungen digital angeboten und genutzt werden.

Beim Thema Weiterbildung können Behörden von der Privatwirtschaft lernen

In der Umfrage unter 500 deutschen Unternehmen und Behörden haben Stifterverband und McKinsey den aktuellen Stand bei den vier Voraussetzungen für erfolgreiche Weiterbildungsmaßnahmen erhoben: Kompetenzermittlung, Weiterbildungsbudget, zeitliche Freiräume und geeignete Formate.

  • Die Ermittlung von vorhandenen Kompetenzen und Bedarfen ist sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor ausbaufähig. In nur 52 Prozent der Unternehmen gibt es einen strukturierten Prozess, um die Kompetenzbedarfe für die kommenden Jahre zu ermitteln; für Behörden ist dies sogar nur in 4 Prozent der befragten Organisationen der Fall. Zudem gaben 36 Prozent der Behörden an, dass sie auch nicht vorhaben, einen solchen Prozess einzuführen. Doch nur ein strukturiertes Vorgehen ermöglicht die zielgenaue Ermittlung der Kompetenzen, die in einer Organisation heute vorhanden sind und künftig benötigt werden, und mit welchen Weiterbildungsmaßnahmen Lücken geschlossen werden können. Hier besteht somit sowohl bei Unternehmen als auch bei Behörden ein dringender Handlungsbedarf.
  • Schon heute gibt es große Unterschiede zwischen den Weiterbildungsbudgets von Unternehmen und dem öffentlichen Sektor; Behörden sollten nachziehen. Das Weiterbildungsbudget von Unternehmen ist heute mehr als doppelt so hoch wie das von Behörden (974 Euro versus 418 Euro pro Person). Während Unternehmen davon ausgehen, ihr Weiterbildungsbudget in den kommenden fünf Jahren um 43 Prozent zu steigern, rechnet man in Behörden nur mit einer Steigerung von 28 Prozent.
  • Durchweg positiv schneiden Behörden im Vergleich mit Unternehmen ab, was die absolute Zahl an Weiterbildungstagen angeht. Im Jahr 2019 betrug die durchschnittliche Anzahl der Tage, an denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Behörden weitergebildet wurden, 3,7. Inzwischen liegt die Zahl bei 4,9, in Unternehmen sind es durchschnittlich 4,6 Tage. Führungskräfte in beiden Sektoren gehen gleichermaßen davon aus, dass sich die Zahl der Weiterbildungstage über die kommenden fünf Jahre auf rund 7 Tage erhöhen wird. Der Anstieg ist zwar zu begrüßen, jedoch sollte die Erhöhung der Weiterbildungstage noch ambitionierter in beiden Sektoren sein.
  • Der Anteil digitaler Weiterbildungsformate war vor der Covid-19-Pandemie noch sehr gering, hat sich aber seitdem massiv erhöht. Während in Behörden der Anteil digitaler Weiterbildungen vor der Pandemie bei 5 Prozent lag, betrug er bei Unternehmen 15 Prozent. Es wäre wünschenswert, dass der durch die Pandemie kurzfristige Anstieg auf 65 beziehungsweise 72 Prozent Anteil digitaler Formate erhalten bliebe. Denn diese Formate bieten viele Vorteile, zum Beispiel die Ersparnis von Unterbringungskosten oder Fahrtwegen einhergehend mit weniger Arbeitsausfall. Gerade die zeitliche Freistellung ist für viele Unternehmen und Behörden eine große Herausforderung. Um diese Ausfallzeiten zu reduzieren, sollten Weiterbildungen verstärkt in digitalen Lernumgebungen angeboten werden.

Handlungsempfehlungen

Der öffentliche Sektor in Deutschland benötigt zusätzliche qualifizierte Fachkräfte, um eine dringend notwendige Modernisierung voranzutreiben. Da dieser Bedarf nicht allein durch Neueinstellungen gedeckt werden kann – Behörden haben hier einen massiven Wettbewerbsnachteil gegenüber Unternehmen – müssen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen massiv ausgebaut werden. Die Ausweitung von Weiterbildungsangeboten kann auch die Attraktivität des öffentlichen Dienstes bei Neueinstellungen deutlich erhöhen.

  • Organisationen sollten strukturierte Evaluationen insbesondere der zukünftig benötigten Kompetenzen einführen
    Voraussetzung für eine strukturierte Analyse des Kompetenzbedarfes beim Personal ist ein Organisationsentwicklungsplan, der sich an den zukünftigen Zielen, Aufgaben und Strukturen der Verwaltung im digitalen Zeitalter ausrichtet. Zur Ermittlung organisationsspezifischer Kompetenzlücken (skill gaps) sollten regelmäßige datenbasierte Ermittlungen von Beschäftigten und Personalverantwortlichen durchgeführt werden. Basierend auf den Ergebnissen sollten entsprechende Lernreisen entwickelt werden, die den Weiterbildungsbedarf strategisch abdecken.
  • Weiterbildungsbudgets müssen überprüft und – wo nötig – aufgestockt werden
    Die finanziellen Mittel, die für Weiterbildungen bereitgestellt werden, sollten kontinuierlich evaluiert und bei Bedarf aufgestockt werden. Die Budgets müssen als Investition in das Humankapital der Zukunft und nicht als Kostenposition verstanden werden.
  • Mehr Raum für die Weiterbildung von Beschäftigten im Arbeitsalltag
    Weiterbildung muss ein fester Bestandteil des Alltags von Beschäftigen werden. Deshalb müssen Arbeitgeber darauf achten, dass Angestellten ausreichend Zeit für Weiterbildung zur Verfügung steht. Zum anderen muss sich aber auch das Verständnis von Weiterbildung als eine „Sonderveranstaltung“ wandeln. Fortbildungen sollten in den Alltag von Beschäftigen integriert sein und somit das Lernen tagtäglich im Beruf fördern.
  • Digitale Angebote ausbauen, Hochschulen für Weiterbildung stärker einbinden
    Hochschulen könnten hier eine entscheidende Rolle einnehmen. Als forschende Institutionen könnten sie bei der Aktualität der Weitebildung punkten. Vorhandende Standards zur Qualitätssicherung könnten verwendet und ausgebaut werden (Stichwort: Weiterbildungsaudit).

In Summe müssen außerdem mehr geeignete digitale Angebote geschaffen werden. Einen wichtigen Schritt dafür hat die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vollzogen. Ab Anfang 2022 will sie ein Webportal zur Verfügung stellen, in dem alle Weiterbildungsangebote an deutschen Hochschulen gesammelt dargestellt werden sollen. Um diese Plattform zum Erfolg zu führen, müssen
a) Hochschulen ihr digitales Weiterbildungsangebot zu zukunftsweisenden Themen ausbauen und dort bereitstellen
b) die Politik die Rahmenbedingungen zum Ausbau des Weiterbildungsangebots an Hochschulen verbessern
c) Unternehmen sowie Behörden gezielt Angebote auf dieser Plattform nutzen

SCHRITTE IN DIE RICHTIGE RICHTUNG

  • Lernreise DigiTalent: Durch diese Initiative stattet das Statistische Bundesamt seine Beschäftigten mit digitalen Zukunftskompetenzen in den Bereichen "Wissen" und "Können" aus. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen befähigt werden, weitreichende Digitalisierungsinitiativen voranzutreiben.
  • Digitalakademie: Die neue Onlineplattform der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV) ermöglicht Angestellten der Bundesverwaltung den einfachen Zugang zu Schulungen bezüglich Themen wie Digitalisierung und eGovernment-Diensten.
  • hoch & weit – Weiterbildungsportal der Hochschulen: Ab Anfang 2022 will die Hochschulrektorenkonferenz ein kostenfreies Informationsportal online stellen, welches die Weiterbildungsangebote aller Hochschulen in Deutschland gesammelt darstellen soll.
Foto: Deutsche Bahn AG/Pablo Castagnola

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